- Priester und der Staatskult im antiken Rom: Zeichendeutung und heiliges Recht
- Priester und der Staatskult im antiken Rom: Zeichendeutung und heiliges RechtDie Römer hielten sich für die frömmsten Menschen der Welt; und auf diese Einstellung führten sie ihre machtpolitischen Erfolge, den Aufbau und die Größe des Imperium Romanum, zurück. Ihre Religiosität erschöpfte sich allerdings im Formalen: Zumindest im offiziellen Staatskult spielten Gefühle wie Liebe oder Hingabe keine Rolle. Es gab auch keine spezifischen Glaubensinhalte, die ein bestimmtes sittliches Verhalten vorgeschrieben hätten - die ethischen Normen ergaben sich aus dem Strafrecht. Als religiös galt der Römer, der seinen kultischen Verpflichtungen gewissenhaft nachkam.Ziel allen religiösen Handelns war die Pax deum, der Friede der Götter: Ihr Wohlwollen schenken sie denen, die sich ihrem Numen, ihrer Macht und ihrem Willen, unterwerfen; sie sind zum Beistand sogar verpflichtet, wenn der Mensch die von ihm geforderten Leistungen erbringt. Die Beziehungen zwischen den Göttern und den Menschen hatten also den Charakter eines juristischen Vertrags: »do, ut des« (»Ich gebe, damit du gibst«), und selbstverständlich mussten alle Formalitäten peinlich genau eingehalten werden.Der Wille der Götter ließ sich zum einen aus den von ihnen gesandten Zeichen erschließen, zum anderen aus der geschichtlichen Erfahrung. Da sich die bisherige Religionsausübung - die politischen Erfolge bewiesen es - als richtig herausgestellt hatte, musste an der bewährten Tradition festgehalten werden: Ein dem König Numa zugeschriebener Kalender aus dem 6. Jahrhundert verzeichnet die ältesten Götterfeste und regelt darüber hinaus, welche Tage für welche öffentlichen Tätigkeiten jeweils erlaubt oder verboten sind. Die Tradition hatte auch die kultischen Riten exakt festgelegt: den Ablauf der Götterfeste und Opfer, die Formeln für Gebete, Gelübde und Weihungen.Die strenge Reglementierung der römischen Religionsausübung erforderte es, sich vor Fehlern möglichst abzusichern. Beispielsweise war es wichtig, die gemeinte Gottheit genau zu bezeichnen. Wusste man nun nicht, welchem Geschlecht die überirdische Macht angehörte, schützte man sich mit dem Zusatz: »sive deus sive dea« (»Seist du ein Gott oder eine Göttin«). Jeder formale Verstoß, wozu schon ein Versprecher beim Gebet zählte, machte die sakrale Handlung ungültig; sie musste dann wiederholt werden, bis allen Bestimmungen Genüge getan war.Für so vielfältige religiöse Zeremonien, die mit der Zeit auch für immer mehr Gottheiten durchzuführen waren, brauchte man natürlich Spezialisten, die sich in der komplizierten Materie auskannten und im Auftrag und Namen des Staates alles Notwendige mit größter Korrektheit vollzogen. Während in der Königszeit der König selbstverständlich auch das Oberhaupt des Kultes war, fanden sich in historischer Zeit neben zahlreichen »sodalitates«, Bruderschaften, vor allem drei große Priesterkollegien. Sie bildeten übrigens keine Kaste: Die Priester konnten, von Ausnahmen abgesehen, neben ihrem sakralen auch ein politisches Amt verwalten.Das oberste Priesterkollegium, die Pontifices - im ersten vorchristlichen Jahrhundert unter Caesar hatte es 16 Mitglieder - war das politisch wichtigste und unter anderem zuständig für den Kult der Schutzgottheiten des Staates, also der kapitolinischen Trias Jupiter Optimus Maximus, Juno und Minerva. Der ranghöchste Priester, der auf Lebenszeit gewählte Pontifex maximus, trug die Hauptverantwortung für das Funktionieren des Kultes und war die letzte Instanz in allen sakralen Fragen. Zu den priesterlichen Aufgaben kamen juristisch-behördliche Pflichten: Die Priester unterstützten die Magistrate bei ihren kultischen Handlungen, indem sie ihnen die vorgeschriebenen Gebets-, Gelübde- und Weiheformeln vorsprachen; sie nahmen an den Sühneriten und an kultischen Begehungen teil. Auf sie geht das Pontifikalrecht, das Ius divinum, zurück. Es regelte sehr genau die Beziehungen der Menschen zu den Göttern durch die Festlegung bindender Rituale.Zu den Pontifices gehörte der »Opferkönig«, der Rex Sacrorum: Als kultischer Nachfolger des Königs war er hoch geehrt, aber mit nur wenigen Befugnissen betraut. Dazu kamen die Flamines, die Priester für einzelne Götter waren, und die sechs Priesterinnen der Vesta.Das sehr angesehene, wohl aus der Königszeit stammende Kollegium der Auguren hatte keine speziellen priesterlichen Aufgaben, sondern befasste sich mit der Deutung von Zeichen aller Art, die als Manifestationen des göttlichen Willens aufgefasst wurden. Dazu gehörten Blitz und Donner, der Schrei bestimmter Vögel, der Appetit der auf dem Kapitol gehaltenen heiligen Hühner und vor allem der Vogelflug, das Augurium.Man konnte sich auch gezielt, im Zusammenhang mit einer klar definierten Aktion, privat oder von Staats wegen, an die Götter wenden: Man fragte sie niemals nach der Zukunft, sondern nur nach ihrer Zustimmung für das geplante Vorhaben. Vorgeschrieben war das Einholen von Vorzeichen, Auspizien, bei allen wichtigen Unternehmungen des Staates, wie etwa vor Wahlen, vor einer Kriegserklärung, vor dem Beginn einer Schlacht. Mit dem Augurenstab bezeichnete man ein viereckiges Beobachtungsfeld, das Templum: Das Flugverhalten besonders von Adlern oder Geiern und der Schrei von Raben oder Krähen innerhalb dieses Templum galten als Ausdruck des göttlichen Willens. Die Auspizien wurden von den römischen Beamten zwar persönlich eingeholt, aber die Auguren hatten das Zeichen zu erklären und übten damit - Manipulationen waren möglich - einen erheblichen politischen Einfluss aus.Das Kollegium der Zehnmänner, die Decemviri, deren Zahl Sulla auf fünfzehn erhöhte, war für Gottheiten zuständig, deren Kult in Rom neu eingeführt wurde, später vor allem für Apoll. Zum anderen wurden sie bei unheilvollen Vorzeichen, so etwa bei Missgeburten und außergewöhnlichen Wetter- oder Naturerscheinungen, und in staatlichen Krisenzeiten vom Senat beauftragt, die Sibyllinischen Bücher einzusehen und aus ihnen den göttlichen Willen zu erkunden.Eine Sonderstellung innerhalb der römischen Priesterschaft nahmen die Haruspices ein, etruskische Seher, die aus den Blitzen weissagten. Vor allem jedoch waren sie Experten für die Eingeweide der Tiere, die eigens zur Befragung der Götter geopfert wurden. Sie wussten, wie Organveränderungen zu deuten und unheilvolle Zeichen zu entsühnen waren. Die Römer begegneten ihrem spekulativen System allerdings mit Misstrauen, und die Gutachten der Haruspices bedurften erst eines Senatsbeschlusses, bevor man ihre Anweisungen befolgte.Dr. Ursula Blank-Sangmeister
Universal-Lexikon. 2012.